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Plötzlich wieder Tourist: Livingstone

8. Dezember 2024

Klick, Klack, Klick, Klack – wir biegen links ab. Der kleine Toyota, in dem wir vier mit unserer Projektmanagerin Neria und ihrem Mann am Steuern sitzen, fährt langsam in das Lusaka Intercity Busterminal ein. Es ist 4 Uhr morgens. Die Scheinwerfer der Busse erleuchten die staubige Luft, was eine gespenstische Stimmung erzeugt. Motorenbrummen, Abgasgerüche und das Rufen der Busfahrer geben der Nacht leben. Während ein Bus versucht sich aus der Umklammerung des scheinbaren Chaos zu befreien, laufen Menschen mit und ohne Gepäck zwischen den großen Fahrzeugen umher.


Obwohl ich nur eine Stunde geschlafen habe, weil wir am Abend bei einer Hochzeit gewesen sind, wusste ich, dass ich jetzt für ein paar Minuten wach sein muss.
Ich schließe meine Jacke, unter der sich meine Bauchtasche mit Reisepass, Portemonnaie und Airwaves befindet. Tür auf. Rucksack aufsetzen. Nicht anquatschen lassen. Schnell finden wir den Bus nach Livingstone. Beim Einsteigen kommt mir der Geruch von stinkenden Schuhen entgegen. Der gesamte Bus riecht nach Käsefuß. Wir laufen an schlafenden Fahrgästen, Reisenden mit großen Kleiderbündeln und Müttern mit Babys bis ans Ende des Busses. Auf der Rückbank, die schon etwas demoliert aussieht, schläft ein Mann. Wir setzen uns. Die Sitze sind speckig und ich kann mir nicht vorstellen, hier die nächsten sieben Stunden zu verbringen. Durch den Bus laufende Händler bieten uns Ladekabel, Powerbanks und Wasser an. Kurz darauf steigt ein Prediger in den Bus, der 10 Minuten lang erklärt, dass wir mit dieser Fahrt unser Leben in Jesu Hände legen würden, der es uns ja auch gegeben habe. Besonders vertrauenerweckend ist seine Rede für mich nicht.


Um fünf Uhr, eine Stunde nach geplanter Abfahrtszeit, setzt sich unser Bus in Bewegung. Dieser entspannte Umgang mit Zeiten begegnet einem in Sambia oft und wird hier auch als African Time bezeichnet. Begleitet von der Morgenröte, fahren wir aus Lusaka heraus auf eine lange, scheinbar endlose einspurige Straße, die sich gerade durch den „Busch“ erstreckt. Nach kurzer Zeit gewinnt die Müdigkeit gegen meine Bedenken in diesem Bus zu schlafen und ich schließe die Augen. Ab und zu holpert es so heftig, dass man vom Sitz abhebt. Meine Schlafmaske verhindert, dass ich die Augen kurz erschrocken wieder öffne. Da ich sowieso keine Kontrolle habe, gebe ich mich dem Schlaf hin.


Drei Stunden christlicher Kirchengesang, der über die Monitore im Bus läuft, und sieben Stunden Busfahrt später, erreichen wir Livingstone.
„Taxi! Taxi!“ ruft ein Mann, während wir halb verklatscht am Stadtrand von Livingstone in der brezelnden Sonne stehen. Neria bringt uns mit dem Taxi zu der WG von Bennet und Morten. Dort legen wir unser Gepäck ab und machen uns kurz frisch. Wir fahren in die Stadt, wo ich in einem Secondhandladen ein langärmliges, gestreiftes Hemd kaufe. Danach essen wir etwas bei Hungry Lion, einem in Sambia sehr beliebten Fastfoodrestaurant, was mich durch seine beschränkte Auswahl zwischen Chickenteilen und Chickenburger dazu zwingt, massenhaft Pommes zu bestellen, um satt zu werden. Das unbefriedigende Gefühl nach jedem Besuch beim „Hungrigen“ ist selbsterklärend.


Im Vergleich zu Lusaka wirkt Livingstone auf mich wie eine große Theaterbühne, die den Touristen ein Sambia vorspielt, was dreckig, aber nicht zu dreckig ist. Wo die Autofahrer verrückt Autofahren, aber nicht zu verrückt. Wo es auch Armut gibt und auch ganz selten einen Stau. Hier findet man die Straßenverkäufer alle auf einem großen Marktplatz und keine Menschenmassen, die sich auf den Bürgersteigen und Straßen tummeln. Nach spätestens fünf Minuten hat man eine andere weiße Person erblickt. Alles ist so viel ruhiger und entspannter als Lusaka. Irgendwie habe ich mich wohl schon an ein bisschen an den Lärm und Trubel der Hauptstadt gewöhnt.
In den folgenden Tagen findet unser Zwischenseminar statt. Wir übernachten in einer Lodge, die nicht umzäunt ist. An einem Abend können wir so sogar wilde Elefanten in wenigen Metern Entfernung sehen. Auf dem Seminar haben wir uns über Erfahrungen, Erwartungen und Herausforderungen unterhalten. Einige Spannungsfelder, die wir in der WG hatten, haben sich aufgelöst, dafür sind aber auch neue entstanden. Neben den offiziellen Teilen haben wir gemeinsam gekocht, Spiele gespielt, im Pool gebadet und uns von Herrmann die Haare schneiden lassen.

//21.01.2025: Livingstone ist schon eine etwas sauberere sambische Kleinstadt. Retroperspektiv ist es aber eine authentische sambische Stadt. Den Eindruck, den ich hier schildere, hatte ich damals allerdings trotzdem. Wahrscheinlich, weil ich es ein bisschen so erwartet habe und der Kontrast zu Lusaka enorm ist.


Für viele ist das Seminar vor allem ein großes Wiedersehen. Ich mag alle Sambia-Freiwilligen aus meinem Jahrgang sehr. Auf dem Vorbereitungsseminar war ich allerdings mehr mit Freiwilligen, die jetzt in Südafrika und Namibia sind, unterwegs. Das hat es mir ein bisschen schwerer gemacht, in der Gruppe Anschluss zu finden. In der letzten Woche habe ich dadurch eine Rolle eingenommen, die ganz neu für mich war. Ich war mehr am Beobachten, mehr der Stille, als ich es eigentlich gewohnt bin.


Gerade sitze ich hier alleine am Schreibtisch, während die anderen Freiwilligen beim Wildwasser-Rafting auf dem Sambesi sind. Ich habe mich dagegen entschieden, weil ich wohl eher ein risikoscheuer Mensch bin. Die Entscheidung ist mir nicht leicht gefallen. Gestern war ich den ganzen Tag in Mukuni, einem Dorf in der Nähe von Livingstone, wo ein paar Freiwillige ein Fußballspiel hatten. Dort hat mir der Manager des Fußballvereins erzählt, dass er mir wegen der niedrigen Wasserstände und den Krokodilen nicht empfehlen würde, raften zu gehen. An sich ist es ja genau dieses Risiko, was es so spannend macht. Ich bin mir immer noch nicht ganz sicher, was die richtige Entscheidung gewesen wäre.


Es ist einer der seltenen Momente, in denen ich mich gegen eine Gruppenaktivität entscheide, wohl wissend, dass ich mich damit zu einem gewissen Grad selber aus der Gruppe ausschließe. Das ist eine Sache, die ich in den letzten Jahren immer versucht habe zu vermeiden. Hätte ich mich für das Rafting entschieden, hätte ich es nur gemacht, weil alle anderen auch gehen und nicht, weil ich darauf Lust habe. Ich sitze gerade einfach lieber hier und schreibe diesen Blog, als in einem Schlauchboot den Sambesi runterzurauschen.


Ich frage mich, ob ich mich nicht vielleicht sogar der größeren Angst, aus der Gruppe ausgeschlossen sein, gestellt habe.

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